Wieder ein Buch, das ich auf keinen Fall selbst gekauft habe, aber es trotzdem plötzlich in meinem Regal gefunden habe. Wahrscheinlich habe ich es bei irgendeinem Umzug aus Versehen geerbt.
Wie so oft brauchte ich morgens schnell neue Lektüre für den Arbeitsweg und hatte als erstes „Gefangener Gottes“ von Michel Benoit in der Hand. Da es mir nicht bekannt vorkam, war die Entscheidung schnell gefallen und als Nächstes sah ich mich am frühen Morgen mit den nicht sehr leicht verdaulichen Themen Gott, Religion und Kirche konfrontiert.
Vom Naturwissenschaftler zum Mönch
Michel lebt als fauler Junge ohne jede erzieherische Regel in Frankreich und muss schon im Kindesalter den Vermittler für seine beziehungsunfähigen Eltern spielen. Während sich beide sowohl von einander als auch von ihm entfernen, wird Michel immer einsamer und wächst nach der Scheidung seiner Eltern bei seinem Onkel auf. Plötzlich muss er den Umgang mit strengen Regeln und Leistungsdruck lernen, doch es treibt ihn zu schulischen Höchstleistungen an, besonders in den Naturwissenschaften.
Als er auch Jahre später noch unter der heimischen Einsamkeit leidet, findet er ein offenes Ohr in Gott. Schon bald spendet ihm das Beten Trost und Michel fühlt sich weniger allein. So entwickeln sich zwei Parallelwelten: die des Biochemie-Studenten, der die Entstehung allen Lebens erforscht, und die des Gläubigen, der aktiv an Messen teilnimmt und in einem Kirchenoberhaupt einen Mentor findet. Dieser wirbt um ihn und manipuliert ihn über die Dauer seines Studiums hinweg, bis Michel schließlich ins Kloster eintritt und mit seinem alten Leben bricht.
Auf der Suche nach Gott
Von „Gefangener Gottes“ habe ich nicht viel erwartet und war auch gewillt, das Buch nicht zu Ende zu lesen. Anfangs brauchte ich auch länger als sonst, um mich mit dem Hauptcharakter anzufreunden, aber ich bin froh, dass ich dran geblieben bin. Michel erzählt sehr ehrlich, dass er Schwierigkeiten hatte, Gott zu finden und dass es ihm durchaus möglich war, die Naturwissenschaften mit Gott zu vereinbaren.
Dieses Thema fand ich besonders interessant: Während sich Michel vorher jahrelang mit der Erforschung der Entstehung der Welt auseinander gesetzt hat, geht er nach seinem Abschluss trotzdem ins Kloster. Für mich eigentlich ein Widerspruch, doch für Michel ergänzen sich beide Schwerpunkte seines Lebens auf ganz logische Art und Weise.
Besonders spannend wird es übrigens zum Ende der Erzählung, denn Michel sieht nicht alles durch die rosarote Brille seines Glaubens und beginnt, anzuecken. So muss er schließlich, nach 20 Jahren, das Kloster verlassen. Hier möchte ich nicht zu detailliert drauf eingehen, findet es einfach selbst heraus 🙂
Meine Meinung
„Gefangener Gottes“ ist wirklich für jeden etwas! Hierfür müsst ihr weder einer bestimmten Religion angehören, noch wöchentlich in die Kirche gehen. Ich habe aus diesem Buch sehr sehr viel über das Leben im Kloster gelernt und war vorher wirklich voreingenommen. Wie ich bereits sagte, von alleine hätte ich mir dieses Buch nicht gekauft, weil ich es als für zu trocken erachtet habe. Michel Benoit konnte mir meine Vorurteile aber nehmen und hat mir stattdessen viel beigebracht.
Was ich außerdem super finde, ist dass Michel sein Leben und seine Entscheidungen sehr kritisch betrachtet. Gleichzeitig versucht er sich nicht dafür zu rechtfertigen, sondern sieht seine Entscheidungen im Kontext seiner damaligen Situation. Rückblickend erkennt er beispielsweise die Manipulation, die an ihm verübt wurde und die er als junger Mann nicht als solches wahrgenommen hat.
Ich habe übrigens auch schon die Bibel und den Koran gelesen, ohne einer Religion anzugehören. Für mich gehört das zur Allgemeinbildung und ich möchte euch ans Herz legen, euren Horizont auch in dieser Richtung zu erweitern. Denn Religionen beherrschen seit Jahrtausenden sehr viele Bereiche unseres Lebens und da schadet es nicht, zu wissen, woran die vielen Millionen Menschen auf der Welt eigentlich glauben.
Für dieses lehrreiche Buch und für die für mich neue Vereinbarkeit von Naturwissenschaften und Religion in einem Roman gibt es von mir 4 von 5 Sternen!
„Gefangener Gottes“ von Michel Benoit erschien erstmals im Jahr 1993 und ist unter anderem auf Amazon und Medimops erhältlich.
Und (Achtung: klasse Überleitung) falls ihr mal ein Bild von einem Kloster sehen möchtet, auf meinem letzten Blogeintrag findet ihr ein tolles Foto des berühmtesten Klosters in Montenegro.
Ich freue mich auf Euer Feedback zu diesem Buch und auch über Eure Wünsche zu meinem Blog!
Viele Grüße
Eure Tabea